Konjunkturteam "Altmark"
Bericht II/99 vom 20. April 1999


Bericht zur Konjunkturlage in den neuen Bundesländern:

Prognose:

Konjunkturindex des Konjunkturteams "Altmark": (Prognose 2. Quartal 1999)

Erste Probleme im Produzierenden Gewerbe

Tatsächliche und prognostizierte Werte des Indexes der Nettoproduktion in den neuen Bundesländern




Nachfrageseitige Faktoren
Welche Faktoren könnten dem Einzelhandel den Pessimismus nehmen? Zum einen steigende Kaufkraft, welche nicht in Sicht ist und zum anderen steigende Preise. Auch diese werden in naher Zukunft nicht zu realisieren sein. Daraus kann man schließen, daß der private Konsum zwar weiterhin eine Stütze der ostdeutschen Konjunktur bleibt, aber nicht gerade zu deren Belebung beitragen wird. Das RWI rechnet in der nächsten Zeit mit einer moderaten Nachfrageentwicklung des privaten Verbrauchs. So wird eine gesamtdeutsche Steigerung des privaten Verbrauchs von 2,2% für 1999 und von 2,6% für das Jahr 2000, jeweils im Vergleich zum Vorjahr erwartet. Welchen Anteil daran der ostdeutsche Einzelhandel trägt, wird sich zeigen. Da die Nettolöhne im Osten Deutschlands langsamer steigen als im Westen, real etwa 1%, werden die verfügbaren Einkommen nur langsam steigen. So betrugen die Direktentgelte 1998 nach Berechnungen des IW in der ostdeutschen Industrie 58,7% derjenigen im Westen
(Volksstimme 17.4.99). Auch das Sicherheitsdenken der Bürger der Neuen Bundesländer, begründet durch die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, wird nicht zu einer Steigerung des privaten Verbrauchs beitragen. Ob der Konsum von der Senkung der Rentenversicherungsbeiträge bei gleichzeitiger Erhöhung der Ökosteuer profitiert, muß sich noch erweisen.

Laut IFO-Umfrage hat sich die Meinung bestätigt, daß im Bereich der Investitionsintensität (Investitionen je Beschäftigten) ein unvermeidlicher Normalisierungsprozess eingesetzt hat und sich in den nächsten Jahren weiter fortsetzen wird. Dieser wird sich noch verstärken, denn einige Großprojekte, die bald abgeschlossen sein dürften, zum Beispiel in den Bereichen Maschinen- und Automobilbau, verfälschen diesen Abwärtstrend. Die Investitionen in der ostdeutschen Industrie werden 1999 voraussichtlich um ca. 8% sinken. Damit würde das Gesamtvolumen auf 13,8 Mrd. DM fallen
(ifo-Schnelldienst 8/99). Angesichts leicht fallender Kapazitätsauslastung im vierten Quartal 98 (ifo Handelsblatt 28.1.99) erscheint dies trotz niedriger Zinsen plausibel. Dennoch werden in den Neuen Ländern die Investitionen mit 24.000,- DM pro Beschäftigten um 50% höher liegen als in den alten Bundesländern.

Neben dem im Herbst gestarteten 100.000 Stellen-Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit wurde das seit 1993 existierende Lehrstellenprogramm vorzeitig um 3 Jahre verlängert. Damit können 17.500 Azubis, die bis Oktober keine Lehrstelle gefunden haben, mit je 26.500 DM von seiten des Staates (Bund und Länder je 50%) gefördert werden
(Südd. Z., 6.4.99). Die Neuen Bundesländer bekommen nach 1999 (2000 bis 2006) 15% mehr EU-Fördergelder. Da die Neuen Bundesländer weiter als Ziel-1-Gebiet eingestuft sind, bekommen sie statt bisher 2,48 nun 2,85 Mrd. DM p.a. an Förderung (Volksstimme 6.4.99). Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung dazu aufgefordert, bis zum Jahr 2000 eine neue Lösung für den Familienlastenausgleich zu finden. Sollte nichts geregelt werden, so werden die Kinderfreibeträge ab 2000 um 4.000 bzw. ab dem zweiten Kind um 2.000 DM erhöht, sowie ab 2002 ein zusätzlicher Haushaltsfreibetrag von 5.616 DM gewährt. Da die Bundesregierung wegen des progressiven Einkommenssteuertarifs den Freibetrag am liebsten in Kindergeld umwandeln möchte, dies jedoch für das erste Kind 660 DM betragen würde, bleibt eine Lösung abzuwarten (iwd, 18.02.99, S. 2). Für geringfügig Beschäftigte gilt ab dem 1.4.1999 eine bundeseinheitliche 630 DM-Grenze. Wenn der Arbeitnehmer dauerhaft bei nur einem Nebenjob beschäftigt ist, führt der Arbeitgeber nur 12% Renten- und 10% Krankenversicherungsbeiträge ab. Ist der Job nicht dauerhaft, ändert sich nichts. Bei mehreren Jobs oder bei weiteren steuerpflichtigen Einkünften müssen die Arbeitgeber allerdings auch noch Lohnsteuer nach der Lohnsteuerkarte abführen (Handelsblatt 22.3.99). Beim Wohnungsbau, der gerade in den Neuen Bundesländern eine besondere Rolle hat und viele Arbeitskräfte beschäftigt, wird durch die Begrenzung der Verlustverrechnung zwischen den Einkommensarten, die Streichung des Vorkostenabzuges für Eigenheimerwerber sowie der Verlängerung der Spekulationsfrist von 2 auf 10 Jahre (= 5 Mrd. DM 1999/2000) die Lage verschlechtert (Handelsblatt 19.03.99).

Wenn auch mit weniger Dynamik wird nach Meinung des IWH der Export einen starken und steigenden Anteil an den Umsätzen der ostdeutschen Wirtschaft haben. Die Ursache für die langsamer steigenden Umsätze liegt in der abflachenden Konjunktur einiger Handelspartner. Gerade bezüglich der Handelspartner besteht die Hoffnung, daß sich die gegenwärtige Schwäche nur als "Delle" aufgrund der Finanzkrisen herausstellt
(IWH Wirtschaft im Wandel 4/1999). Insofern könnte sich die weiter verbesserte Lohnstückkostensituation als hilfreich für die Exporte der ostdeutschen Unternehmen herausstellen.

Die Bauwirtschaft
Laut dem Hauptgeschäftsführer des Bauverbands Vogt erwartet Sachsen-Anhalts Bauindustrie auch in diesem Jahr keine Besserung ihrer Lage. Er rechne mit einem weiteren Rückgang der Auftragseingänge, der Umsätze sowie der Beschäftigung
(Altmark Zeitung 6./7.3.99). Für 1999 plane das ostdeutsche Baugewerbe Investitionen von insgesamt 1,7 Milliarden Mark. Im gesamten Baugewerbe Ostdeutschlands setzt nach der Ifo-Studie immerhin eine Stabilisierung ein. Das DIW erwartet für 1999 ein Auftragsminus von 3% in den Neuen Bundesländern gegenüber +0,5% in den Alten Bundesländern. Dies würde einen weiteren Arbeitsplatzabbau von 40.000 Stellen in den Neuen Bundesländern bedeuten (Handelsblatt 1.4.99). Eine Trendwende scheint 2000 möglich. Im kommenden Jahr könnten die Investitionen wieder zunehmen (Reuters, YAHOO! Schlagzeilen 15.2.99 - www.yahoo.de). So dürfte die Bauwirtschaft dann mit einem Zuwachs von einem Prozent rechnen (Handelsblatt 31.3.99).

Angebotsseitige Faktoren
Eine Anpassung der Löhne an das westdeutsche Niveau ist nach derzeitigem Ermessen wohl in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Die Personalkosten in der ostdeutschen Industrie betragen laut IW 65,2% der der westdeut-schen
(Volksstimme 17.4.99), während (vgl. Konsum) die Direktentgelte nur 58% betragen. Demgegenüber betragen die Umsätze je Beschäftigten nach Berechnungen des IAB über alle Branchen der Neuen Länder hinweg 67% des Westniveaus (Handelsblatt, 29.03.1999). Gründe für diese Entwicklung liegen in der Branchenstruktur. So ist der Anteil von Unternehmen, die in als innovativ geltenden Branchen tätig sind, relativ klein. Auch werde in den Neuen Ländern in geringerem Maße Forschung und Entwicklung betrieben. Weiterhin sind die geringe Tarifbindung (Tarifbindung bei der Entlohnung West 23%; Ost 6% 1998; Handelsblatt, 29.03.1999) und der steigende Anteil an geringfügig Beschäftigten Anzeichen für eine weitere Verfestigung der Einkommensunte-schiede zwischen den Alten und Neuen Bundesländern. Differenzierte Zahlen zu den Lohnstückkosten im Ost-West-Vergleich für 1998 legte das DIW in seinem Wochenbericht vor. Im Vergleich zu Westdeutschland (= 100) hatten die Lohnstückkosten in den verschiedenen Sektoren folgende Höhe:

Land- und Forstwirtschaft    115,4
Energie- und Wasserversorgung, Bergbau 70,4
Verarbeitende Gewerbe 113,4
Baugewerbe 101,5
Handel und Verkehr 130,6
Dienstleistungen 139,4
Staat 100,9
Private Haushalte 102,4
Insgesamt 124,1



Betrachtet man zusätzlich die Einkommen, so werden die Bediensteten des Staates (81,9% des Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit je westdeutschen Arbeitnehmer) nur von denen in der Landwirtschaft (92,6%) übertroffen. Auf dem letzen Platz liegen die Beschäftigten des Verarbeitenden Gewerbes (68,7). Bei der Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen übertreffen die Beschäftigten der ostdeutschen E.- und W.-Vers. und des Bergbaus ihre westdeutschen Kollegen (103,9%).
Das Schlußlicht bildet das Dienstleistungsgewerbe mit 54,3%. Allerdings sollte man sich genauere Gedanken darüber machen, warum die Bruttowertschöpfung insgesamt im Vergleich zum Westen so niedrig ist. Sollte allerdings die Behauptung in der Untersuchung zur Produktivitätslücke des hannoveranischen Pestel-Instituts
(Volks-stimme 09.02.99) stimmen, spielen viele ostdeutschen Betriebe die Rolle der verlängerten Werkbank. Im Klartext heißt dies: "Die Gewinne, aber auch hochbezahlte, wertschöpfungsintensive Bereiche wie Entwicklung und Vermarktung verbleiben im Westen." Dann wäre es kein Wunder, daß der Anteil der Löhne an der Bruttowertschöpfung sehr hoch ist. Besonders bei Banken und Versicherungen (s. Dienstleistungen in obiger Tabelle) würde sich demgemäß eine tiefergehende Untersuchung lohnen.

Durch die deutliche Zinssenkung sind die geldpolitischen Rahmenbedingungen für das nächste Quartal gesetzt. Ein weiterer Dreh an der Zinsschraube wird nur dann erfolgen, wenn außergewöhnliche Sonderfaktoren eintreten. Es bestehen weiterhin Unsicherheiten über die Entwicklung der Konjunktur in den USA und Europa. Das Wachstum im letzten Quartal war mit 6,1%
(www.wiiwo/wwkonjunktur/us.htm 16.4.99) überraschend stark. Alan Greenspan, Chef der amerikanischen Notenbank, betonte mehrfach, daß die Konjunktur sehr schnell abkühlen könne. Die USA hat den äußeren Einflüssen bis jetzt getrotzt, getragen von einer starken Binnennachfrage. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die Erwartungshaltung der amerikanischen Bevölkerung, die bis jetzt davon ausgeht, daß sich die Konjunktur und der Arbeitsmarkt weiterhin positiv entwickeln.




Aktualisierter Prognosespiegel für 1999 und 2000 (Neue Bundesländer):

Bundesregierung: 2-2,5% Wirtschaftswachstum (Sozialpolitische UmschauNr. 110 v. 22.03.1999)nach
2,0% Wirtschaftswachstum
(Handelsblatt 07.01.1999)
IG Metall: 2,7% Wirtschaftswachstum (Handelsblatt 24.12.98)
Sachverständigenrat: 2,0% reales Wachstum (Handelsblatt 24.12.1998)

Die Forschungsinstitute:

Insgesamt: 2,3% Wachstum des realen BIP (Herbstgutachten der Forschschungsinstitute 16.10.1998) nach:
2,5% reales Wirtschaftswachstum
(Frühjahrsgutachten der Forschungsinstitute 12.05.1998)
DIW: 0,8% Witschaftswachstum (Süddeutsche Zeitung 07.01.1999) nach:
2,2% Wirtschaftswachstum
(DIW Wochenbericht 27/98)
HWWA: 2,4% Wirtschaftswachstum (Handelsblatt 24.12.1998) nach:
2,7% Wirtschaftswachstum
(HWWA-Info 15/98)
Ifo: 1,5% Wirtschaftswachstum (Süddeutsche Zeitung 18.12.1998) nach:
2,5% Wirtschaftswachstum
(Wirtschaftkonjunktur 7/98)
IfW (Kiel): 2,7% Wirtschaftswachstum (Handelsblatt 24.12.1998)nach:
2,5% Wachstum des realen BIP
(Handelsblatt v. 21.09.1998)
IWH: 2,3 % Wirtschaftswachstum (Wirtschaft im Wandel 1/1999 S.3) nach:
2,6% Wachstum des realen BIP
(Wirtschaft im Wandel 9-10/98)
RWI:2,4% Wirtschaftswachstum (Handelsblatt 02.03.99)
nach:
2,5% Wirtschaftswachstum
(Handelsblatt 24.12.1998)nach:
3,5% Wachstum des BIP
(Handelsblatt v.26.02.98)und:
3,2% Wachstum des BIP für 2000
(Handelsblatt 02.03.98)
IW (Köln):2% Wirtschaftswachstum (iwd Nr.1, 07.01.1999)

Die Banken:

Commerzbank: 1,6% Wachstum des realen BIP(Konjunkturdaten BRD 3/99) nach:
2,8% Wachstum des realen BIP
(Konjunkturtrend Februar 1998)und:
2,3% Wachstum des BIP für 2000 (Konjunkturdaten BRD 2/99
DB-Research:2,5% Wachstum für 1999 (Handelsblatt v. 04.06.98, S.6)
NordLB: 1,9% Wachstum des BIP und
2,8% Wachstum des BIP für 2000
(Wirtschaftslage Februar 99 Nord/LB)
WestLB: 2% Wachstum des realen BIP (16.04.99 http://www.westlb.de)und
2,5% Wachstum des realen BIP für 2000
(16.04.99 http://www.westlb.de)




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Herausgeber:

Mitarbeiter des Konjunkturteam "Altmark":
Fehse, N.(Arbeitslosigkeit); Schrader, A. (Bauwirtschaft); Bredl, G. (Export); Brückmann, B. (Inflation)
Bradler, F. ; Braunsdorf, K. (Investitionen); Schleef, A. u. König, A.(Konsum); Fehse, N. (Löhne);
Schulze, M. (Staat); Patzig, W.(Wachstum); Brattan, M. (Zins)


Redaktion:

Dipl. Volkswirt Nothnagel, J.

V.i.S.d.P.:

Prof. Dr. Wolfgang Patzig
Fachhochschule Magdeburg / Stendal; Fachhochschule Altmark i.G.,
Am Dom 13, 39576 Stendal
Tel.: 03931 / 794704; Fax: 03931 / 794700
eMail: Wolfgang.Patzig@stendal.hs-magdeburg.de