Konjunkturteam "Altmark"
Bericht II/99 vom 20.April 1999


Bericht zur Konjunkturlage in den neuen Bundesländern:

Lageanalyse 1. Quartal 1999:

Datenlage
 

Aktuelle Daten zur Lage der Neuen Bundesländer: Inflationsrate*
(Lebenshaltung aller priv. Haushalte)
Arbeitslosenquote (Erwerbspersonen insg.)
(nicht saisonbereinigt)
Wachstumsrate des realen BIP*
in Preisen v. 1991
(saisonbereinigt)
Saldo der Leistungsbilanz
(in Mrd. DM)1)
(Gesamtdeutschland))
Zinssatz
(Umlaufsrendite)

(Gesamtdeutschland)

1992 13,5 % 14,5% 7,8 % -21,0 8,1 %
1993 10,5 % 15,1 % 8,9 % -14,9 6,4 %
1994 3,7 % 15,2 % 9,8 % -36,5 6,7 %
1995 2,1 % 14,0 % 5,3 % -27,1 6,5 %
1996 2,2 % 15,7 % 1,9 % -8,4 5,6 %
1997 2,1 % 18,1 % 1,6 % -2,4 5,1 %
1998 1,2 % 2) 18,2 % 2,1 % -6,2 4,5 %
1. Quartal 1998 1,5 % 21,0 % 4,1 % -6,5 4,7 %
2. Quartal 1998 1,6 % 18,2 % 0,0 % +5,1 4,8 %
3. Quartal 1998 0,8 % 16,9 % 1,6 % -5,7 4,7 %
4. Quartal 1998 0,67 % 16,3 % 2,4 % 0,98 3,9 %
1. Quartal 1999 0,2 % 18,8 %      
Januar 1999 0,2 % 18,9 %     3,6 %
Februar 1999 0,2 % 19,1 %     3,7 %
März 1999 0,4 %2) 18,4 %3)      

Quelle: Deutsche Bundesbank Monatsberichte + saisonbereinigte Wirtschaftszahlen und eigene Berechnungen * Veränderung gegenüber Vorjahreszeitraum
1)Im Rahmen der diesjjährigen Revision der Leistungsbilanzdaten wurden methodische Änderungen vorgenommen 2) Statistisches Bundesamt Pressemitteilung v.09.04.99 3) Bundesanstalt für Arbeit Pressemitteilung v. 08.04.99

Nachfrageseitige Faktoren
Privater Konsum als Konjunkturmotor? Um dies in den Neuen Ländern zu erreichen, müßten positive reale Lohnerhöhungen oder Beschäftigungssteigerungen erzielt werden. Dies sieht aber derzeit in den Neuen Bundesländern nicht so aus
(s.a. Löhne u. Arbeitslosigkeit). Somit kann man die sinkenden Erwartungen des Einzelhandels erklären. Der BBE-Index sank im Januar um 6,95 Punkte auf 94,85 Punkte (Gesamtdeutschland = 93,5 Punkte Handelsblatt, 8.3.99). Auch das Ifo-Geschäftsklima spiegelt eine pessimistische Situation beim ostdeutschen Einzelhandel wieder. So verschlechterte sich der Index im Januar um 0,4 Punkte auf -26 (Handelsblatt, 25.2.99). Die Vor-jahresumsätze konnten nicht er-reicht werden. Die Verkaufspreise stehen weiter unter Druck. Umsatzsteigerunen sind somit über die Anhebung der Verkaufspreise nicht zu erwarten. Im Februar scheinen die Einzelhändler wieder Licht am Horizont zu sehen. So verbesserte sich der Ifo-Geschäftsklimaindex des deutschen Einzelhandels - Ost wieder auf -17,4 Punkte (Handelsblatt, 26. / 27.2.99). Allerdings überwiegen bei weitem immer noch die Pessimisten.

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Nach ersten Berechnungen der EU-Kommission werden in den Jahren 2000 bis 2006 (7 Jahre) die Fördergelder für Sachsen-Anhalt und die anderen Neuen Länder um bis zu 15% gegenüber der letzten sechsjährigen Förderperiode (1994-1999) steigen. Dieses soll nach Willen der Kommission bevorzugt für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und zu mehr Investitionen, speziell bei Klein- und Mittelbetrieben, genutzt werden. Ob dies geschieht ist fraglich, denn nach einer IFO-Umfrage rechnen 41% mit sinkenden und 40% mit steigenden Investitionen, weshalb sich der Gesamtsaldo der Investitionen wahrscheinlich nicht verbessern wird. Ein überdurchschnittliches Investitionswachstum ist im ostdeutschen Maschinenbau zu verzeichnen, während es im Bereich des Verarbeitenden Gewerbes insgesamt einen Rückgang gab. Besonders die Mineralölindustrie reduzierte ihre Investitionen.

Staatlicherseits war das letzte Quartal geprägt durch den Rücktritt des keynesianischen Bundesfinanzministers Lafontaine. Bevor jedoch seine in Europa viel kritisierte Nachfragepolitik mit der Ernennung Herrn Eichels zum Bundesfinanzminister vermutlich wieder abgeschwächt wurde, ist die noch unter Lafontaine erstellte Steuerreform - bedingt durch den Mehrheitswechsel im Bundestag (Hessen) - noch schnell beschlossen worden. In der ersten Stufe der Steuerreform wurde zum 1.4.99 die Steuern auf Strom um 2Pf/kWh, auf Mineralöl (Diesel, Benzin) um 6Pf/l, auf Heizöl um 4Pf/l und auf Gas um 0,32Pf/l (jeweils zzgl. MwSt.) erhöht
(iwd, 18.03.99, S. 6). Die dadurch allein 1999 entstehenden Mehrbelastungen von ca. 8,4 Mrd. DM treffen nach einer Studie des IWH besonders die Neuen Bundesländer, da hier ohnehin schon ein Wettbewerbsnachteil wegen der höheren Energiekosten sowie der höheren Energiekosten je Produktionswert (3,6% ggü. 1,9% in den Alten Bundesländern) besteht. Dieser Nachteil wird nicht durch die Gegenfinanzierung - der Senkung d er Rentenversicherungsbeiträge um 0,8% auf 19,5% - abgefangen, da der prozentuale Anteil der Lohnnebenkosten - und damit auch die Entlastung - in den Neuen Bundesländern geringer ist als in den Alten Bundesländern. Zudem gibt es in den Neuen Bundesländern kaum Unternehmen, welche die um 0,4 Pf/kWh ermäßigte Stromsteuererhöhung beanspruchen können (Handelsblatt, 29.03.99). Die ostdeutschen Unternehmen haben 1999 durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage 7,7 Mrd. DM, abzüglich der Entlastungen durch Tarifsenkungen bei der Einkommens- und Körperschaftssteuer (2,6 Mrd. DM) also noch 5,1 Mrd. DM zusätzlich zu tragen. In den privaten Haushalten der Neuen Bundesländer schlägt sich die Ökosteuer besonders stark nieder, da die zusätzlichen Steuern nicht durch die Steuerermäßigungen (Senkung des Rentenversicherungsbeitrags um 0,8%, Erhöhung des Kindergeldes um 30 bzw.10 DM/Kind, Senkung des Eingangssteuersatzes auf 23,9%) ausgeglichen werden. Insgesamt sind sowohl die ostdeutschen Unternehmen als auch die Haushalte in der 1. Stufe der Steuerreform stärker belastet als die der Alten Bundesländer. Um weitere Steuersenkungen zu finanzieren, wird eine weitere Erhöhung der Mehrwertsteuer nach den Steuerschätzungen im Mai von der Koalition nicht mehr ausgeschlossen (Handelsblatt 22.3.99). 1998 stiegen die Einnahmen der öffentlichen Kassen um 3,6% auf 1,784 Bill. DM. Dabei sind jedoch die hohen Privatisierungserlöse von 33,3 Mrd. DM und die hohen Gewinnabführungen der Bundesbank zu berücksichtigen. Demgegenüber stiegen die Ausgaben um nur 1,3% auf 1,832 Bill. DM. Anzumerken ist dabei der Rückgang der Bauinvestitionen von 1,4% (Handelsblatt, 31.03.99, Seite 5). In den Neuen Bundesländern dagegen wurde der Bau durch die öffentlichen Aufträge zu Jahresende "gestützt" - öffentl. Baunachfrage im November + 39,4% gegen-über Vorjahr (Volksstimme 2.2.99). Im Jahresvergleich jedoch lag die Bauleistung der öffentl. Auftraggeber 2,2% unter dem Vorjahreswert. Dabei entspricht der Rückgang nicht dem tatsächlichen Bedarf - dringende Aufgaben würden immer wieder verschoben.

Die ostdeutsche Exportwirtschaft konnte sich bislang von der westdeutschen abkoppeln. Während die Ausfuhren im Bundesdurchschnitt gravierend zurückgingen, erhielt das Verarbeitende Gewerbe der Neuen Länder im Januar und Februar '99, noch immer um die 75% mehr Aufträge aus dem Ausland als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Über das ganze Jahr 1998 erhöhte sich nach Angaben des IWH der ostdeutsche Umsatz mit dem Ausland um 30%. Dabei bilden zunehmend EU-Staaten den Löwenanteil von 52%
(Handelsblatt 10.02.99). Während der Handel mit Rußland nachläßt, werden im Osten Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei bedeutender. Auch die USA kauften 8% mehr Exportwaren. Die Aufträge aus Asien gingen krisenbedingt allerdings weiter zurück. Ausgeliefert wurden besonders Kraftfahrzeuge, elektrotechnische Güter und Maschinen, aber auch Erzeugnisse der chemischen Industrie. Da zumindest für Gesamtdeutschland (andere Zahlen liegen nicht vor) feststellbar ist, daß die Importe schneller (-6,5% Jan/Feb. gg. Vorjahreszeitraum) sinken als die Exporte (-3,1% Statistische Bundesamt Pressemitteilung 13.4.99) vergrößert sich der Handelsbilanzüberschuß und somit der Beitrag des Außenhandels zum BIP.

Die Bauwirtschaft
Die Lage im ostdeutschen Baugewerbe hat nach Angaben des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) einen neuen Tiefpunkt erreicht. Wie sich nach jüngster Umfrage ergab, hat sich die Geschäftslage verschlechtert
(Volksstimme 7.3.99). Die Talsohle sei aber noch nicht erreicht. In den Neuen Bundesländern und Berlin-Ost war auch 1998 ein Nachfragerückgang von minus 1,6 Prozent zu verzeichnen (Statistisches Bundesamt 22.2.99). Insgesamt lag die Gesamtbauleistung 1998 mit 8,3% im Minus (DIW 6.4.99). Die ostdeutsche Baukonjunktur wird hauptsächlich durch die Nachfrage der öffentlichen Gebietskörperschaften gestützt. So hat im November 1998 das Volumen der öffentlichen Baunachfrage (s.a. Staat) real um 39,4 Prozent über dem Vorjahresniveau gelegen (Volksstimme 2.2.99). Auch der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes hat ein düsteres Konjunkturbild gezeichnet. So erwartet der Verband für die Neuen Länder einen deutlichen, wenngleich abgeschwächten Rückgang der Bauinvestitionen, im Osten wird von 8,2 Prozent ausgegangen (Volksstimme 7.3.99). Das Ifo weist aber darauf hin, daß aus den Boomjahren größtenteils ausreichende Gerätekapazitäten verfügbar seien. Nach Firmenumfragen des Ifos hat die Bedeutung des Leasings von zusätzlichen Geräten für spezielle Arbeiten im ostdeutschen Bau 1998 zugenommen. Der Investitionswert der geleasten Geräte wird auf 600 Milliarden DM geschätzt (Handelsblatt 13./14.2.99). Zudem belastet die vom Bundestag verabschiedete ökologische Steuerreform die Wirtschaft. Auch die höheren Energiesteuern werden auf die Erträge drücken, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bauverbandes Vogt. Sollte das Schlechtwettergeld wieder eingeführt werden, kämen nochmals höhere Kosten zwischen zwei und drei Prozent auf die Bauunternehmen zu (Altmark Zeitung 6./7.3.99). Die Krise am Bau sorgt aber für stabile und sogar fallende Preise bei der Erstellung von Wohn- und Bürogebäuden. Im Februar 1999 lagen die Baupreise für konventionell gefertigte Wohngebäude auf dem gleichen Niveau wie vor Jahresfrist (Süddeutsche Zeitung 9.4.99). Einen Hoffnungsschimmer am sonst dunklen Horizont bilden die niedrigen Zinsen (vgl. Zins).

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Angebotsseitige Faktoren
Auch neun Jahre nach der Wiedervereinigung ist noch keine Angleichung der Löhne an das Niveau der Alten Bundesländer in Sicht. So hat das Ost-West-Verhältnis der Einkommen erstmals abgenommen
(DIW, 15.04.1999). Aufgrund des Tarifabschlusses in der Metall- und Elektroindustrie im Südwesten Deutschlands (Handelsblatt, 22.02.1999) mit einer Tariflohnerhöhung von 4,2% erhalten die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie eine Lohnerhöhung rückwirkend zum 01.03.1999 von 3,2 Prozent und eine Einmalzahlung von 1% (bezogen auf das Jahresgehalt und auf 11 Monate = 175 DM für den Monat Februar) (Volks-stimme, 11.03.1999). Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hielt in dieser Branche eine Lohnerhöhung von 2,8% für "das äußerst Denkbare", ansonsten drohe mehr Arbeitslosigkeit. Denn zuletzt habe die moderate Lohnpolitik hier in den ersten 9 Monaten des Jahres 1998 zu 70000 neuen Arbeitsplätzen geführt (Handelsblatt, 09.02.1999). Die Arbeitskosten liegen nach neuesten Zahlen von 1996 in den Neuen Bundesländern mit durchschnittlichen 32,99 DM/ Arbeitsstunde und durchschnittlich 54,14 DM/h in den Alten Bundesländern fast 40% unter Westniveau. Die durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste im Produzierenden Gewerbe sind von Okt.1997 bis Okt.1998 in den Neuen Bundesländern um 1,9% und somit auf 3852 DM gestiegen. Bei den Angestellten stiegen die Verdienste um 2,5%; im Handel, Kredit- und Versicherungsgewerbe um 3,3% (Statistisches Bundesamt, 11.02.1999). Die aus der geringeren Produktivität resultierenden geringeren Stundenlöhne werden teilweise durch längere Arbeitszeiten kompensiert. Von je 100 Arbeitnehmern arbeiten in den Neuen Bundesländern 48 Personen über 40 Wochenstunden - in den Alten Bundesländern nur 3. Dagegen haben 23 Personen in den Alten Bundesländern unter 36 Wochenstunden - im Osten 0 Personen. 50% der Erwerbstätigen in den Neuen Bundesländern arbeiten zwischen 28-40 Wochenstunden (Süd-deutsche Zeitung, 09.03.1999).

Im Berichtszeitraum kam es zu einer sehr deutlichen Zinssenkung. Der Reposatz für den 14-tägigen Mengentender wurde von 3% auf 2,5% gesenkt. Der Spitzenrefinanzierungssatz wurde von 4,5% auf 3,5% und der Einlagesatz wurde von 2% auf 1,5% gesenkt. Der Spitzenrefinanzierungssatz und der Einlagesatz dienen der kurzfristigen Steuerung der Liquidität am Markt für Tagesgeld. Die Europäische Zentralbank begründete diesen Zinsschritt mit der mittelfristigen Inflationsentwicklung, die im Rahmen der definierten mittelfristigen Preisstabilität von 2% liegt. Das gegenwärtige Geldmengenwachstum sei im Moment kein Risiko. Die Europäische Zentralbank mahnte die Einhaltung der Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts an und betonte, daß überzeugende strukturelle Reformen in der Wirtschaft erforderlich sind
(Europäische Zentralbank; 08.04.1999, nach Pressemitteilung der Deutschen Bundesbank). Die Zinssenkung sei "...kein Paradigmawechsel zu einem kurzfristigen Nachfragemanagement durch die Geldpolitik...", so Hans Tietmeyer, Präsident der Deutschen Bundesbank. Die Geldpolitik hat ein klares Zeichen gesetzt. Daher sind jetzt - laut Tietmeyer - die anderen Politikbereiche um so mehr gefordert, die notwendigen Schritte für eine Verbesserung der Wachstumsaussichten zu unternehmen (Frankfurter Allgemeine, 13.04. 1999). Da das Geldmengenwachstum mit 5,1% im Monat Februar über dem Referenzwert von 4,5% lag, werden auch konjunkturelle Gründe eine Rolle gespielt haben. Die Zinssenkungen sind nicht unumstritten, obwohl sie vielerorts gefordert worden sind. Die Zinsexperten von Merrill Lynch sind überzeugt, daß die Zinssenkungen nichts an den Wachstums- und Inflationsaussichten in Westeuropa ändern werden. Denn die derzeitige konjunkturelle Schwäche basiere auf einer Exportschwäche, die durch die Wirtschaftskrisen außerhalb Europas und den USA bedingt ist (Frankfurter Allgemeine, 13.04.1999). Im Hinblick auf die Schwäche beim gesamtdeutschen Export wirkt die Zinssenkung der EZB einer nicht unrealistisch erscheienden Aufwertung des Euros entgegen.





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Herausgeber:

Mitarbeiter des Konjunkturteam "Altmark":
Fehse, N.(Arbeitslosigkeit); Schrader, A. (Bauwirtschaft); Bredl, G. (Export); Brückmann, B. (Inflation)
Bradler, F. ; Braunsdorf, K. (Investitionen); Schleef, A. u. König, A.(Konsum); Fehse, N. (Löhne);
Schulze, M. (Staat); Patzig, W.(Wachstum); Brattan, M. (Zins)


Redaktion:

Dipl. Volkswirt Nothnagel, J.

V.i.S.d.P.:

Prof. Dr. Wolfgang Patzig
Fachhochschule Magdeburg / Stendal; Fachhochschule Altmark i.G.,
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