Konjunkturteam
"Altmark"
Bericht I/97 vom 14.Januar 1997
Bericht zur Konjunkturlage:
Datenlage
Neuen Bundesländer: | Inflationsrate* (Lebensh. aller priv. Haushalte) |
Arbeitslosenquote (Erwerbspers. insg.) (nicht saisonbereinigt) |
Wachstumsrate des realen BIP* in Preisen v. 1991 (saisonbereinigt) |
Saldo der Leistungsbilanz (in Mrd. DM) (Gesamtdeutschland) |
Zinssatz (Umlaufsrendite) (Gesamtdeutschland) |
1992 | 13,5 % | 14,5% | 7,8 % | -30,1 | 8,1 % |
1993 | 10,5 % | 15,1 % | 8,9 % | -22,4 | 6,4 % |
1994 | 3,7 % | 15,2 % | 9,8 % | -31,9 | 6,7 % |
1995 | 2,1 % | 14,0 % | 5,3 % | -29,9 | 6,5 % |
1.Quartal 96 | 2,6 % | 16,1 % | -0,7 % | -5,2 | 5,6 % |
2.Quartal 96 | 2,7 % | 15,4 % | 3,0 % | -6,6 | 5,8 % |
3.Quartal 96 | 2,1 % | 15,0 % | 4,1 % | -10,8 | 5,7 % |
Okt 96 | 1,5 % | 14,7 % | 5,3 % | ||
Nov 96 | 1,6 % | 15,0 % | 5,2 % | ||
Dez 96 | 15,9 %1) |
Quelle: Deutsche Bundesbank Monatsberichte +
saisonb. Zahlen u. e.Berech. * Veränd. gg. Vorjahreszeitraum
1) Altmark-Zeitung v. 11.1.97
Lageanalyse 4. Quartal 1996:
Auch aus diesem Grunde tritt die Zahl
der geleisteten ü;berstunden wieder in den Vordergrund.
Allein in Sachsen-Anhalt werden rund 520.000 ü;ber-
stunden geleistet, was "rein rechnerisch einem
Volumen von 13.000 Arbeitsplä;tzen entspricht." Volksstimme v. 21.12.96)
Besonders dramatisch ist die Entwicklung in der
Bauindustrie (siehe auch weiter unten Bauwirtschaft).
Dort ist die Arbeitslosigkeit im Dezember um 24% auf
245.600 (Gesamtdeutschland) gestiegen. Bis zum Februar
sollen 400.000 Bauarbeiter arbeitslos sein (Die Welt v. 10.1.97). Der
Prä;sident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie
Franz fordert deshalb mehr staatliche Ausgaben, denn jede
"Milliarde die der Staat spare, gefä;hrde etwa
12.600 Arbeitsplä;tze." (Die
Welt v. 10.1.97, S. ;11 vgl. hierzu auch weiter
unten Staat)
1992
7,8%, 1993 8,8%, 1994 sogar 9,8% Wachstum des realen
Bruttoinlandsprodukts: Eine Angleichung der
Lebensverhä;ltnisse schien greifbar nah. Immerhin noch
5,3% betrug die Wachstumsrate im Jahr 1995. Nun schä;tzt
der Sachverstä;ndigenrat den Anstieg fü;r die Neuen
Bundeslä;nder auf 2,25% fü;r das abgelaufene Jahr (Sachverstä;ndigenratsgutachten 1996/97). In der Wochenzeitschrift "Die Zeit"
wird dies wie folgend kommentiert: "Das
enttä;uschenste Wirtschaftsdatum des verflossenen Jahres
lautet: Der deutsche Osten holt nicht mehr auf. In Bonn
ist der optimistische Begriff 'Aufschwung Ost' lä;ngst
durch den nü;chternen 'Aufbau Ost' ersetzt worden."
(27.12.1996, S. ;15). Was sind die Grü;nde fü;r das schwache
Wachstum des letzten Jahres? Die verfü;gbaren Einkommen
steigen, auch wegen der nahezu erfolgten Anpassung der
Renten und Löhne, langsamer als in den Vorjahren (s.u. Konsum), die
Staatsnachfrage stagniert wegen der Maastricht-Kriterien (s.u. Staat) und die
Investitionen sinken, da der Bauboom wohl seinen
Höhepunkt erreicht bzw. überschritten hat (s.u. Bauwirtschaft). Der
Export kann diese Lücke mangels Wettbewerbsfähigkeit
nicht schließen (s.u. Export u.
Löhne). Die Wachstumsrate des
vierten Quartals 1996 wird vermutlich unter der
Jahresrate liegen, etwa bei 2%.
Nachfrageseitige Faktoren
Nach einer überraschend guten Entwicklung des Konsums
im ersten Halbjahr, bedingt durch Steuersenkungen und Erhöhung
des Kindergeldes, konnte die Nachfrage im 4. Quartal diese
Ergebnisse nicht mehr erreichen. Die andauernde kontroverse
Steuerdiskussion in Bonn, die Sorge um die Entwicklung der
Arbeitslosigkeit und das vergebliche Hoffen auf eine Verbesserung
der Einkommenssituation sind die Ursachen dafür, daß sich die
Stimmung der Verbraucher sehr labil darstellt.(Handelsblatt v. 23.12.96) Weiterhin
ist der pessimistische Konsumzuwachs durch die drastische
Steigerung der Krankenversicherungssätze zu erklären. Ende 1996
zahlten die ostdeutschen Bundesbürger etwa 0,8 % des
Bruttogehalts mehr als 1995. Das entspricht einer Steigung von
6,5% im Jahr. Somit liegt der durchschnittliche Beitragssatz im
Osten sogar 0,16 % über dem im Westen der Bundesrepublik. Auch
die tariflich vereinbarten Einkommenszuwächse konnten diese
zusätzlichen Belastungen nicht ausgleichen. Nachdem der
Hauptverband des deutschen Einzelhandel (HDE) im Vorfeld des
Festtagsgeschäfts die Hoffnung gehegt hatte, die
Weihnachtsgeschäfte könnten 1996 über dem Vorjahreswert
liegen, meldete die Branche aber schon bald, daß diese
Erwartungen nicht erfüllt werden konnten. Selbst die längeren
öffnungszeiten trugen nicht zu der erwarteten Erfolgssteigerung
bei. Insgesamt geht die Nürnberger GfK Marktforschung von einem
Zuwachs des privaten Verbrauchs von 1,5 % im Jahr 1996 aus. (FAZ 30.12.1996)
Der anfängliche Schub durch die Fertigstellung neuer Betriebsstätten ist abgeklungen. Zur Zeit entfällt ungefähr 1/5 des BIP auf Investitionen in Bauten und Ausrüstungen. 1996 sind die Investitionen zumindest im ostdeutschen Wohnungsbau gegenüber 1995 noch um 44% gestiegen. Bei staatlichen Baumaßnahmen machten sich die Sparbemühungen des Bundes und der Länder bemerkbar, so daß Projekte zusehends gestreckt werden. Auch der gewerbliche Bau gerät ins Stocken, da sich z.B. die Leerstände bei Büroräumen etc. bemerkbar machen und so über sinkende Mieten auf die Renditeerwartungen der Investoren drücken. Stagnierende Kapazitätsauslastung, die knapp unter den Werten des Vorjahres liegt, und Auftragseingänge sowie nach wie vor nicht allzu optimistische Konjunkturerwartungen, die sich zwar bessern, aber noch deutlich im negativen Bereich liegen, machen deutlich, warum die Ausrüstungsinvestitionen in den Neuen Bundesländern nahezu stagnieren. Dies macht auch die Investitionsbefragung des Ifo - Instituts (Handelsblatt v. 20.12.96) deutlich: "Nach dem Ifo-Investitionstest für die ostdeutsche Industrie dürften 1996 fast 17,5 Mrd. DM in diesem Wirtschaftsbereich investiert werden, dies wären etwa 5% weniger als im Vorjahr."
Für den Staat (Bund, Länder, Gemeinden) ist das Jahr 1997 entscheidend für die Teilnahme an der EWU. Das erwartete Wachstum des BIP für 1997 liegt bei durchschnittlich 2,5% (davon im 1.Hj.: Ost +3,5%, West +2,5%) und damit ein Prozentpunkt über dem BIP von 1996. Gemessen an diesen Werten schätzt Waigel die Neuverschuldung des Staates bei +2,5% des BIP ein. Das bedeutet ein Rückgang der Nettoverschuldung von 119,5 auf 99,5 Mrd. DM. Der Schuldenstand wird ´97 auf 61% (+0,5%) des BIP geschätzt. Damit würde zwar das Defizitkriterium von 3% des BIP eingehalten, jedoch überschreitet der Schuldenstand ´97 deutlich das Maastricht-Kriterium von 60%. Die bis ´94 stetig gestiegenen Ausgaben des Bundes gingen ´95 erstmals wieder zurück, ´96 werden sie auf 451,3 Mrd. DM (-13,4 Mrd. DM) geschätzt, wobei der mit 124,6 Mrd. DM größte Posten "Arbeit und Soziales" ist. Bei der Neuverschuldung des Bundes ´96 werden 73 Mrd. DM erwartet, nachdem im Entwurf lediglich 59,9 Mrd. DM eingeplant waren. Die Verschuldung von 64,2% (+12,6%) des BIP liegt weit über den Höchstwerten der letzten Jahre von 52,0%. Mit einem Haushaltsdefizit ´96 von 3,8% des BIP würde Deutschland ´96 aufgrund der Maastricht-Kriterien (max. +3%, max. 60%) nicht an der EWU teilnehmen dürfen.
Trotz Wegbrechens des osteuropäischen Marktes
ist es den Neuen Bundesländern gelungen, ihre Exporte der
im Inland erzeugten Produkte mehr als zu kompensieren. Dies zeigt
sich gut an der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes
Sachsen-Anhalt, welches neben Mecklenburg-Vorpommern zu den
wirtschaftlich schwächsten Ländern gehört. Die Exporte nahmen
1994 um 11.4 % zu, wobei sich die Entwicklung im Jahresverlauf
beschleunigte. Zu den wichtigsten Handelsstaaten gehören nunmehr
sieben EU-Mitgliedsländer, die Schweiz (als EFTA-Land), drei
Mittel- und Osteuropäische Staaten (MOE-Länder), die zur
Gemeinschaft Unabhängiger Staaten gehörenden Länder Rußland
und Weißrußland sowie Brasilien und die USA. Im ersten Halbjahr
1995 bestätigte sich der Trend. Allein vom 1.1.1995 bis
30.06.1995 belief sich das Ausfuhrvolumen auf ca. 2 Mrd. DM und
stieg damit gegenüber den ersten 6 Monaten 1994 um 11.7 %.Die
höchsten Exportsteigerungen wurden mit EU-Ländern (+54.6 %) und
EFTA-Staaten (+33.1 %) erzielt. Deswegen bleiben die EU-Länder
die wichtigsten Handelspartner der Neuen Bundesländer, denn
allein 47.4 % aller Exporte Sachsen Anhalts gehen in sie. Der
Export in die GUS-Staaten ging auch wieder zurück, im Jahr 1995
um 30 %, wobei sich die Tendenz 1996 bestätigte. Leider sind
auch die Importe der Neuen Bundesländer gestiegen. Das
heißt, sie sind immer noch nicht in der Lage, den größten Teil
der von ihnen benötigten Produkte, für den Privaten Haushalt
und die Wirtschaft, selbst zu produzieren.
Die Bauwirtschaft
Normalerweise werden in einem Konjunkturbericht
die Bauinvestitionen im Rahmen der Betrachtung des
Nachfrageaggregats Investitionen behandelt. Wenn dies hier an
hervorgehobener Stelle geschieht, liegt dies daran, daß der
Bauwirtschaft in den Neuen Bundesländern eine außerordentliche
Bedeutung zukommt. Der Bauboom im Gefolge der Wiedervereinigung
führte zu einem im Vergleich zu anderen Ländern
überproportionalen Anteil der Bauwirtschaft an der
Gesamtwirtschaftsleistung der Neuen Bundesländer. Der Anteil der
Bauwirtschaft an dieser Wirtschaftsleistung, gemessen an der
Bruttowertschöpfung, betrug 1995 17,6%, wohingegen er im Westen
nur 5,3% betrug (BMWi).
Im Jahr 1996 konnte die Bauwirtschaft der Neuen Länder das hohe
Niveau des Vorjahres nicht halten. Vom witterungsbedingten
Einbruch des 1. Quartals einmal abgesehen, lag die Bauproduktion
im zweiten und dritten. Quartal sowie im Oktober durchschnittlich
6% tiefer als im Vorjahr. So kann nicht überraschen, daß die
Bauinvestitionen im 1. Halbjahr 1996 real um 8,8% unter denen des
Vorjahreszeitraums lagen. Der Auftragseingang lag nach einem
Rückgang von 12% im ersten Quartal, im zweiten und dritten
Quartal etwa 3% unter seinem entsprechenden Vorjahresniveau (Quelle: Deutsche Bundesbank). So
haben schon 1996 weit über 350 Bauunternehmungen Konkurs
angemeldet.
Angebotsseitige Faktoren
Die langfristigen Zinsen (Umlaufrendite)
sanken auf Stände von ca. 5- 5,6% und haben damit ein
historisches Nachkriegstief erreicht. Bei den wichtigsten
deutschen Leitzinsen, dem Diskont- und dem Lombardsatz, sah die
Deutsche Bundesbank seit dem 19.4.1996 keinen Grund zur änderung
und beließ sie bei Werten von 2,5% und 4,5%. Der dritte
Steuerungssatz, der Leitzins für Wertpapierpensionsgeschäfte,
beträgt 3% (Deutsche Bundesbank). Bis Anfang Dezember sanken die 5- und 10-jährigen
Hypothekenzinsen leicht auf Niveaus von 5,65 bis 5,79% und von
6,70 bis 6,90%, wobei sie aber schon Mitte Dezember wieder um bis
zu 0,1 %- Punkte anstiegen.
Oft wird zur Messung des Wettbewerbsnachteils,
der sich daraus ergibt, daß die Lohnkosten im Vergleich
zur Produktivität zu hoch sind, die Lohn - Produktivitäts -
Lücke herangezogen. Nach dieser Größe sind die
Wettbewerbsnachteile der ostdeutschen Wirtschaft gegenüber der
westdeutschen in den Sektoren Handel und Verkehr sowie übrige
Dienstleistungen besonders hoch. Es folgt das Verarbeitende
Gewerbe (BMWI). Sind
in den Jahren 1991 bis 1994 (mit kleinen Ausnahmen) stetige
Verbesserungen erzielt worden, zeigt sich 1995 für das
Verarbeitende Gewerbe und die Dienstleistungsunternehmen (mit
Ausnahme von Handel und Verkehr) eine Verschlechterung an, was an
der Exportfähigkeit nicht spurlos vorübergehen wird. Nur der
Bauindustrie ist es gelungen, diese Lücke zu schließen, was zu
einem guten Teil an den Preissteigerungen in diesem Sektor liegt,
denn in diesem Bereich ist seit 1992 der tarifliche Monatsecklohn
von 79 auf 91 % des westdeutschen Vergleichswertes gestiegen,
wobei die Bruttoeffektivverdienste lediglich 74 % erreichten (IW Halle im Handelsblatt v. 17.12.96). Dies hat zur Folge, daß nur 29 % der Unternehmen
gegenwärtig Gewinne erwirtschaften.
Herausgeber:
Mitarbeiter des Konjunkturteam "Altmark":
Bradler, F. (Zins); Braunsdorf, K. (Löhne); Brückmann, B. (Inflation); Galster, H.C. (Export)
Helmecke, K. (Arbeitslosigkeit); König, A.(Konsum); Kriester, D. (Investitionen); Schulze, M. (Staat)
Künnemann, D. (Arbeitslosigkeit); Patzig, W.(Wachstum); Schrader,A. (Bauwirtschaft)
V.i.S.d.P.:
Prof. Dr. Wolfgang Patzig
Fachhochschule Magdeburg / Stendal; Fachhochschule Altmark i.G.,
Am Dom 13, 39576 Stendal
Tel.: 03931 / 794704; Fax: 03931 / 794700
eMail: Wolfgang.Patzig@stendal.hs-magdeburg.de